Der Erdmagnetismus nach Gilbert
Der Erste, der die
Eigenschaften von magnetischen Erzen als auch von künstlich magnetisiertem
Eisen systematisch erforschte, war der englische Wissenschaftler William
Gilbert zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Er stellte fest, dass Magnetismus etwas
anderes ist als statische Elektrizität. Ausgehend von den magnetischen Erzen
wie Magnetit und Hämatit sowie deren Verbreitung kam er zu dem Schluss, dass
die Erde insgesamt ein Magnet mit zwei Polen sei. Experimentell bestätigte er
seine Erkenntnisse mit einem kugelförmigen Magneten, der „Terrella“ (kleine
Erde). Er stellte fest, dass jeder Magnet eine Wirkung im Raum aufweist und
eine Magnetnadel nicht direkt auf den geografischen Norden zeigt. So hat er beispielsweise
einen Neigungswinkel (seine Bezeichnung ist „Deklination“) vorgeschlagen, um
die Breitengrade auf See bei verdecktem Himmel abzuleiten. Die Rotation der
Erde war für ihn eine Folge des Magnetismus. Zu weitergehenden
Schlussfolgerungen konnte er zu seiner Zeit nicht kommen, weil die wesentlichen
Gesetze von Magnetismus und Elektrizität noch nicht erforscht waren. Seine
Erkenntnisse sind später alle bestätigt worden, einschließlich des
Zusammenhanges von Magnetismus und Rotation. Allerdings lässt nicht der
Magnetismus die Erde rotieren, sondern mit der Rotation der Erde entsteht der
Magnetismus.
Der Erdmagnetismus nach Birkeland und StØrmer
Bekanntlich hat Birkeland
bereits 1903 die Ansicht vertreten, dass von der Sonne ausgehende Strahlen die
Ursache der Polarlichter und eines äquatorialen Ringstromes weit außerhalb der
Atmosphäre sind. Mithilfe entsprechender Experimente, das Polarlicht künstlich
zu erzeugen, gelang ihm der praktische Nachweis seiner Vermutung. In seinen
Experimenten schickte er mittels Hochspannung einen Elektronenstrahl durch
einen evakuierten Glasbehälter und ließ in diesem Strahl eine magnetisierbare
Eisenkugel rotieren. Damit konnte er zeigen, dass sowohl in Polnähe als auch
über dem Äquator außerhalb der Kugel Elektronenansammlungen in Form von
Leuchterscheinungen auftraten. Mit diesen Experimenten und Vorstellungen regte
er Størmer an, die Wirkung der von der Sonne kommenden Elektronenstrahlung auf
die Erde und deren Magnetfeld zu berechnen. Im Ergebnis dessen fand Størmer,
dass die Elektronen der Sonne die Erde nur in zwei schmalen Kreisbändern in
Polnähe erreichen (Polarlichter) und ansonsten einen Ringstrom über dem Äquator
bilden.
Sowohl die Polarlichter als
auch den Ringstrom betrachtete man als eine von der Sonne kommende Störung des
Erdmagnetfeldes, ohne sich diese als die Ursache des Erdmagnetfeldes zu denken.
Der Erdmagnetismus nach Angenheister
Angenheister schreibt 1927
über den Stand zur erdmagnetischen Forschung, es gäbe mehrere magnetische
Felder unterschiedlichen physikalischen Ursprungs sowie unterschiedlicher
räumlicher und zeitlicher Verteilung, die sich überlagern. Es existierten unter
anderem ein permanentes Feld aus der Rotation resultierend und ein Feld aus der
Atmosphäre resultierend. Beide Felder wären räumlich und zeitlich veränderlich
und würden durch elektrische Ströme bewirkt, die aus der ultravioletten
Sonnenstrahlung entstünden. Er war im Gegensatz zu anderen Wissenschaftlern
folgender Meinung:
Den permanenten Magnetismus
der Erde auf die Wirkung ost-westlicher elektrischer Ströme im Erdinneren
zurückzuführen, ist wohl kaum angängig. Ihr Betrag müßte […] im Mittel 0,5 Amp.
pro cm betragen. Für die Existenz so starker Ströme im Erdinneren ist nicht der
geringste Anhalt vorhanden.
Deshalb favorisierte er die
Theorie von der Wirkung rotierender elektrischer Raum- und Oberflächenladung.
Er war der Meinung, dass sich Masse, Rotationsgeschwindigkeit und magnetisches
Moment in Zusammenhang befänden. Die Wirkung des von Birkeland/Størmer
gefundenen Ringstromes sah er ebenfalls nur als Störung des Magnetfeldes an.
Zudem konnte er die Abweichung des Magnetfeldes von der Rotationsachse nicht
erklären. Sein Resümee war wie folgt:
Die physikalische Ursache
des Innenfeldes muß in der Rotation der Erde gesucht werden. Es scheint, daß
die Masse der Erde (und Sonne) sich bei der Rotation wie eine elektrische
Ladung verhält.
Leider liegen die
Verhältnisse in anderen Größenordnungen, als dass man sie mit der Erde vergleichen
könnte. Die elektrische Ladung der Erde beträgt bekanntermaßen etwa 600.000
Coulomb. Diese Menge entspricht nach dem Ladungs-/Masseverhältnis nur 3,5
Milligramm bei Elektronen oder nur 6,35 Nanogramm bei Protonen. Insofern wird
deutlich, dass es eine andere Quelle als die elektrische Ladung der Erde für
deren Magnetismus geben muss. Das erklärt auch den Misserfolg von Gilberts
Terrella-Versuchen. Warum man allerdings die Forschungen von
Angenheister nicht weiterführte, liegt im Dunkeln. Vielleicht wurden sie durch
die Theorien von Elsasser verdrängt.
Der Erdmagnetismus nach Elsasser
Angefangen bei Gauß 1838 und bei Larmor 1919 entstanden Vermutungen
darüber, dass die Quelle des Erdmagnetfeldes im Inneren der Erde liegen müsse.
Alle Magnetfelder in großen Himmelskörpern würden durch einen selbsterregenden
Dynamoprozess erzeugt, postulierte Larmor. Diese zunächst angefochtene
Dynamotheorie ist mittlerweile das Standardmodell zur Entstehung des
Erdmagnetismus geworden. Sie erfuhr ihre Krönung durch Elsasser. Seine
1939 veröffentlichte Theorie besagt, dass das Erdmagnetfeld durch Wirbelströme
innerhalb des flüssigen Erdkerns erzeugt würde. Dies solle folgendermaßen
geschehen:
Unter der dünnen Erdkruste liegt der Erdmantel. Ab einer Tiefe von rund
35 km besteht er aus zähflüssigem Gestein. Dieser Abschnitt reicht rund 2.900
km tief und weist Temperaturen bis zu 3.500 °C auf. Auf den Erdmantel
folgt der äußere Erdkern, eine flüssige Schmelze aus Nickel und Eisen. Sie ist
etwa 3.800 °C heiß und wäre elektrisch äußerst leitfähig. In rund 5.000 km
Tiefe beginnt der innere Erdkern aus festem Nickel und Eisen. Seine Temperatur
beträgt nach unterschiedlichen Schätzungen 4.800 bis 7.700 °C. Durch die
Temperaturunterschiede zwischen innerem und äußerem Kern entstehen
Konvektionsströmungen. Die Drehbewegung der Erde lenkt diese Strömungen ab. Sie
vollziehen eine Spiralbewegung parallel zur Erdachse. Dabei entsteht wie bei
einem Generator elektrischer Strom, der das Magnetfeld der Erde aufbaut.
Elsasser formulierte 1950 auch die Magnetohydrodynamik des Erdkerns.
Diese beschreibt das Verhalten elektrisch leitender Flüssigkeiten, die in
Wechselwirkung mit magnetischen Feldern wiederum erneut Ströme erzeugen
würden. Bis heute gibt es dafür keine experimentelle Bestätigung. Auch
die dafür entwickelten mathematischen Modelle überzeugen bisher nicht.
Der Erdmagnetismus nach Blackett
Blackett sah wie bereits
Gilbert einen Zusammenhang zwischen Magnetismus und Rotation. Allerdings
formulierte er 1947 im Gegensatz zu Gilbert, dass die Erde magnetisch sei, weil
sie rotiert. Er schlug sogar vor, dass möglicherweise jedes rotierende Objekt
einen ihm innewohnenden Magnetismus besitze. Diese Ansicht gründete sich
darauf, dass alle Elektronen und Protonen ein magnetisches Moment wegen ihres
„Spins“ besitzen. Experimente mit rotierenden Objekten, die nach seiner Theorie
eine messbare Magnetisierung besitzen sollten, hatten keine. Er beachtete oder
wusste nicht, dass Rotation nur mit gehörig großer elektrischer Ladung einen
Magnetismus hervorbringen kann. Er verbrachte mehrere Jahre damit, hochwertige
Magnetometer zu entwickeln, um seine Theorie zu testen. Die Arbeit zu diesem
Thema führte ihn in das Gebiet der Geophysik. Über zehn Jahre untersuchte eine
Gruppe unter seiner Leitung viele Aspekte der Eigenschaften von Gesteinen, um
das Erdmagnetfeld nach Größe und Richtung zu bestimmen und das Phänomen zu
klären, dass etwa 50 % aller magnetischen Gesteine umgekehrt polarisiert
sind. Die Frage war, ob diese umgekehrte Magnetisierung auf Polsprünge des
Erdmagnetfelds oder auf physikalische Prozesse, die im Gestein ablaufen,
zurückzuführen ist.
Leider führte man diese
wissenschaftlichen Untersuchungen nicht konsequent zu Ende, weil die sich immer
stärker durchsetzende Theorie des Geodynamos nach Elsasser sowohl die Herkunft
des Erdmagnetfeldes als auch die Polsprünge erklärte – aber eben nur scheinbar.
Der Erdmagnetismus nach Soffel
Das Hochschullehrbuch Paläomagnetismus
und Archäomagnetismus von Soffel aus dem Jahre 1991 gilt bis heute als
‚Bibel‘ dieser Fachrichtung. Es enthält in der Hauptsache die methodischen
Grundlagen für die Forschung, aber auch Ergebnisse aus der Forschung des Paläo-
und Archäomagnetismus. Zum Ursprung des Magnetfeldes konstatiert Soffel:
Die Krustenmagnetisierung
scheidet als Hauptquelle für das Erdmagnetfeld auf Grund der zu geringen und
örtlich zu stark variierenden Magnetisierung der Gesteine aus. Ein
Permanentmagnet im Erdinneren kommt wegen der dort herrschenden hohen
Temperaturen nicht in Frage. Stromsysteme im äußeren Erdkern werden momentan
als beste Lösung des Problems angesehen.
Demnach favorisiert auch
Soffel die Dynamotheorie als Ursache des Erdmagnetismus und damit auch
Polsprünge, ohne weitere Theorien zu beachten, wie etwa die von Angenheister
Weiterhin zieht sich die Remanenz wie ein roter Faden in den verschiedensten
Interpretationen durch die einzelnen Kapitel seines Buches. Ausgangspunkt
bildet folgende Grundaussage von Soffel:
Mit den Möglichkeiten
hochempfindlicher, moderner Magnetometer konnte nachgewiesen werden, dass alle
Gesteinstypen eine remanente Magnetisierung besitzen.
Dieser Satz wäre gültig ohne das Wörtchen remanente.
Die falsche Interpretation
der Remanenz und die ungenügenden quantenphysikalischen Details des Antiferro-
und Ferrimagnetismus sind die Gründe, warum Soffel von sehr großen Abweichungen
des erdmagnetischen Feldes bis zur Umkehr – bezogen auf den rezenten, geozentrischen
Dipol – ausgeht.
Der Erdmagnetismus nach Demtröder
Von Demtröder wurde 1995 das Hochschullehrbuch
„Experimentalphysik 2: Elektrizität und Optik“ herausgegeben. Dort wird unter
anderem das Magnetfeld der Erde behandelt, ohne dass neue Erkenntnisse oder
Theorien proklamiert werden. Das Interessante in diesem Buch sind aber einige
spezifische Sachverhalte, die für die folgenden Posts wichtige Aussagen
darstellen und bei anderen Autoren nicht so deutlich zum Ausdruck gebracht
werden. Zum Erdmagnetfeld stellt Demtröder 1995 grundsätzlich fest:
[…] aber erst seit wenigen
Jahren gibt es Modelle über seine Entstehung und seine zeitliche Änderung,
obwohl auch heute noch viele Details ungeklärt sind.
und
Weit entfernt von der Erde
im interplanetaren Raum wird das Dipolfeld der Erde stark verändert durch
Ströme geladener Teilchen (Protonen, Elektronen), die von der Sonne emittiert
werden (Sonnenwind).
Auch Polsprünge gelten für ihn als
selbstverständlich. Zur Erzeugung des Erdmagnetfeldes führt Demtröder aus:
Es muss deshalb von
Ringströmen, die symmetrisch zur Dipolachse fließen, stammen.
Insofern erklärt er den
Erdmagnetismus ebenfalls mit dem allgegenwärtigen Dynamoprinzip. Dennoch räumt
Demtröder ein:
Viele Details dieses Modells
des Erdmagnetfeldes sind noch ungeklärt und bedürfen weiterer Untersuchungen.
Der Erdmagnetismus nach gegenwärtigen Erkenntnissen
Die Erde besteht
bekanntermaßen aus einer hauptsächlich eisernen Vollkugel (32 % Eisenanteil)
mit fester Kruste, mehr oder weniger flüssigem Inneren, einem festen Kern und
einem Magnetfeld. Diese Kugel dreht sich mit hoher Geschwindigkeit um sich
selbst. Wir merken es nicht, aber am Äquator beträgt die oberflächliche
Geschwindigkeit 465 m/s. Zahlreiche Untersuchungen haben ergeben, dass die
Kruste aus den relativ leichten (2,7 g/cm³) und dicken (30 bis 60 km)
Kontinentalplatten sowie aus den relativ schweren (3 g/cm³) und dünnen (5 bis
9 km) Ozeanplatten besteht. Die Ozeanplatten machen circa zwei Drittel der
gesamten Erdoberfläche aus.
Wegener begründete bereits
vor 1915 eine Bewegung dieser Platten. Er schreibt von partieller und gesamter
Krustenwanderung und in diesem Zusammenhang auch von Polverschiebung. Die
Existenz von Polen stellt ein weiteres Kennzeichen der Erde dar. So existieren
geografische und magnetische Pole als Punkte auf der Erdoberfläche. Während die
geografischen Pole die Durchstoßungspunkte der Rotationsachse repräsentieren,
befinden sich die Magnetpole an den Stellen der größten magnetischen
Feldstärke. Unabhängig von der Herkunft des Magnetismus gilt damit
zwangsläufig, dass jede Krustenverschiebung auch eine scheinbare Verschiebung
der Pole zur Folge hat. Eine solche Verschiebung der Kruste, bezogen
auf die Rotationsachse, hat nichts mit den Hypothesen der magnetischen Umpolung
zu tun.
Weiterhin ist zu beachten,
dass einerseits der Eisenanteil und damit die magnetische Relevanz mit der
Tiefe zunehmen. Andererseits verschwindet die magnetische Wirkung von Gesteinen
und Erzen bei Temperaturen über 525 °C (Curie-Temperatur von Magnetit)
bzw. 675 °C (Néel-Temperatur von Hämatit), die in der kontinentalen Kruste
je nach Zusammensetzung bei etwa 20 km Tiefe erreicht werden, in der
ozeanischen Kruste schon bei etwa 7 km Tiefe. Damit beinhalten die
Ozeanplatten einen wesentlich geringeren Anteil an magnetisch wirksamen
Bestandteilen als die Kontinentalplatten. Aus diesen Punkten wird klar, dass
die Wirksamkeit der magnetischen Bestandteile nur eine oberflächliche ist und die
Kontinentalplatten magnetisch wesentlich stärker wirken als die Ozeanplatten.
Zum Magnetfeld
ist außerdem auszuführen, dass es geostationär ist. Das bedeutet, dass es
sich mit der Erde mitdreht und die Feldachse mit der Rotationsachse ungefähr
übereinstimmt. Die Winkeldifferenz der Achsen beträgt etwa 10°. Erzeugt werden
würde das Erdmagnetfeld vom sogenannten Geodynamo. Außerdem würde im Mittel
alle 200.000 Jahre eine „Umpolung“ (= Polsprung) der Feldrichtung stattfinden.
Auf das Wesentliche
reduziert, stellt die Erde nichts anderes dar als eine elektrisch geladene
Hohlkugel verschiedener Permeabilität (Hohlkugel deshalb, weil der heiße Kern magnetisch
unwirksamem ist), die von elektrisch geladenen Teilchen (Sonnenwind) senkrecht
zur Achsrichtung umströmt wird und von äquatorialen Strahlengürteln,
Ringströmen sowie einem geostationären Magnetfeld umgeben ist, dessen
theoretisches Dipolmoment 8 1022 Am² und dessen Feldstärke an
den Polen ca. 60 𝜇T beträgt. Um genauere Vorstellungen von
Intensität und Form des Erdmagnetfeldes zu bekommen, wurde von der Europäischen
Weltraumorganisation (ESA) die Mission „Swarm“ gestartet. Ergebnisse sind
öffentlich noch nicht bekannt.
Infobox:
Das Ziel der Satellitenmission
„Swarm“ besteht darin, mit drei Satelliten auf verschiedenen
Umlaufbahnen eine Gesamtaufnahme des geomagnetischen Feldes und seiner
zeitlichen Entwicklung zu liefern, um neue Erkenntnisse zur Verbesserung des
Verständnisses vom Inneren der Erde und ihrer Umgebung zu gewinnen.
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